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Kirche gibt dem Scheitern von Ehen ihren Segen

Politikredakteur
Marzipanfiguren auf einer Hochzeitstorte. Die Orietntierungshilfe der EKD bekennt sich auch zur Homo-Ehe Marzipanfiguren auf einer Hochzeitstorte. Die Orietntierungshilfe der EKD bekennt sich auch zur Homo-Ehe
Marzipanfiguren auf einer Hochzeitstorte. Die Orietntierungshilfe der EKD bekennt sich auch zur Homo-Ehe
Quelle: picture alliance / empics
Die evangelische Kirche weicht in einer neuen Orientierungshilfe das Leitbild der lebenslangen Treue in der Ehe auf. Paare sollten sich darauf einstellen, dass sie sich auch wieder trennen könnten.

Es spricht sehr für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), dass sie den gesellschaftlichen und rechtlichen Wandel in den Blick nimmt. Etwa den Wandel im deutschen Unterhaltsrecht. Dort sind nach Scheidungen die Unterhaltspflichten des früheren Ehemanns vom Gesetzgeber begrenzt worden, sodass eine geschiedene Frau nicht mehr hoffen kann, dauerhaft von ihrem Ex-Mann versorgt zu werden. Dies könne, die EKD sieht das sehr genau, bei der Frau „zu harten Einschnitten“ führen: Wenn sie nicht verarmen will, muss sie rasch wieder arbeiten.

Das fällt natürlich jenen Frauen schwer, die während der Ehe nicht oder kaum gearbeitet haben, weil sie vom Mann im Modell der Alleinverdienerehe versorgt worden waren. Was aber meint die EKD zu jenen Schwierigkeiten geschiedener Frauen? „Die neue Rechtslage sollte jungen Menschen klar sein, wenn sie sich für diese Lebensform mit traditioneller Arbeitsteilung entscheiden.“

Dieser Satz aus einer neuen EKD-„Orientierungshilfe“, die am Mittwoch vorgestellt wird, ist hoch bedeutsam: Jungen Paaren wird geraten, sich bei ihren materiellen Erwägungen und beruflichen Entscheidungen darauf einzustellen, dass sich die beiden wieder trennen. Sie sollen sich um materielle Unabhängigkeit voneinander bemühen, damit sie nicht hinterher gelackmeiert sind. Somit wird die Ehe – vor protestantischen Altären geschlossen, „bis dass der Tod euch scheidet“ – von der Kirche hier aus der Perspektive von Scheidungsfolgen gesehen, von Scheidungsfolgen, die erst der Staat bei der juristischen Relativierung der lebenslangen Ehe herbeigeführt hat. Denkbar wäre, dass die Kirche gegen diese Relativierung protestiert. Doch der EKD-Text empfiehlt, die Partnerschaft an dieser Relativierung auszurichten.

Durchaus ein Lob der Treue

Sehr deutlich wird damit die Krux jenes familienpolitischen Textes, den eine 14-köpfige Expertenkommission unter einem länglichen Titel („Zwischen Autonomie und Angewiesenheit. Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“) im Auftrag des Rates der EKD in einem dreijährigen Diskussionsprozess erarbeitet hat. Die Krux besteht darin, dass der Text in der Aufmerksamkeit für die Veränderungen im Verständnis von Ehe und Familie so weit geht, dass eine eigenständige (Gegen-)Position der Kirche kaum noch erkennbar ist.

Gewiss, die „Orientierungshilfe“, die weniger Autorität beansprucht als eine „Denkschrift“, stimmt durchaus das Lob der Treue an: „Verlässliche und langfristige Beziehungen“ beschwört der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider schon in seinem Vorwort. Von der bei Jesus entlehnten Trauungsformel – „was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden“ – heißt es: „Das Scheidungsverbot Jesu erinnert die Paare und Eltern an ihre Verantwortlichkeit.“ Und von der religiösen Kindererziehung über das Füreinander-Einstehen bei der Pflege oder bei der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau bis zum Schutz des Sonntags als gemeinsamen Familien-Freiraums hat die EKD hier vieles Traditionell-Kirchliches zu sagen.

Doch wird auf den 160 Seiten, in denen sich die ganze Vielfalt und auch Unsicherheit des neueren protestantischen Ehe- und Familienverständnisses niederschlägt, gar nicht erst versucht, die lebenslange Treue von Ehepaaren und Eltern mit normativer Kraft auszustatten. Unentschieden heißt es: „Die Kirchen unterstützen Familien in ihrem Wunsch nach gelingender Gemeinschaft, sie begleiten sie aber auch im Scheitern und bei Neuaufbrüchen.“ Wer erwarten würde, dass der Glaube – als Anerkennung von Ansprüchen jenseits des irdischen Wandels – auch verbindlichere Maximen setzen könnte, der liest hier von einer „Freiheit mit Umgang mit gesellschaftlichen Veränderungen, die angesichts der Herausforderungen der eigenen Zeit immer wieder neu bedacht und oft erst errungen werden muss.“

Familie, so erfährt man, „das sind nach wie vor Eltern (ein Elternteil oder zwei) mit ihren leiblichen, Adoptiv- oder Pflegekindern“, aber auch „die sogenannten Patchwork-Familien, die durch Scheidung und Wiederverheiratung entstehen, das kinderlose Paar mit der hochaltrigen, pflegebedürftigen Mutter und das gleichgeschlechtliche Paar mit den Kindern aus einer ersten Beziehung“.

Keine herausgehobene Lebensform

Somit löst sich das Institut der Ehe in ein diffuses Feld von vielfältigem Familienleben hinein auf, ohne dass noch recht ersichtlich würde, was das Besondere der Ehe sein könnte. Dass die Ehe von Martin Luther aus theologischen Gründen (!) nicht als Sakrament, sondern als „weltlich Ding“ verstanden wurde, nimmt dieser Text zum Anlass, sich sehr weit von der reformatorischen Hochachtung vor dem Ehestand zu entfernen und diesen nur als eine nicht besonders herausgehobene Lebensform zu sehen, bei der die Kirche an die Paare bloß die „Ermutigung“ zu richten hat, „in allen Veränderungen einen gemeinsamen Weg zu wagen“. Dass dies aber ein wichtiger Anspruch ist, dass Scheidungen hingegen Unglück produzieren, dass Kinder leiden, dass es in neuen Verbindungen keineswegs besser werden muss – über all das liest man in diesem Text nichts.

Ausgeblendet werden auch ökonomische Aspekte. Zwar wird umfänglich dargestellt, wie sehr Alleinerziehende von Armut betroffen sind, und breiten Raum gibt der Text familienpolitischen Finanzforderungen, die vom Ausbau der frühkindlichen Betreuung über einen gesetzlichen Mindestlohn bis hin zur Umlenkung des Ehegattensplittings in eine allgemeine Familienförderung reichen.

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Besonders wichtig ist der Kirche eine gleichberechtigte Teilhabe der Mütter am Erwerbsleben, und dabei führt man die Geburtenraten an. So seien im europäischen Vergleich „die Länder mit der höchsten Frauen-, ja Mütter-Erwerbsquote zugleich die Länder mit den höchsten Geburtenraten“, erwähnt werden Skandinavien und Frankreich. Hingegen würden „Länder, die sich im Hinblick auf die Geschlechterverhältnisse verhältnismäßig spät modernisiert haben, zum Beispiel Griechenland, Spanien, Italien und Deutschland, heute in Europa über die niedrigsten Geburtenraten verfügen“.

Doch enden solche ökonomischen Überlegungen schlagartig dort, wo es darum gehen müsste, dass Paare und Eltern eigene finanzielle Verantwortung haben. Dass also Scheidungen finanziell riskant sind, dass man nicht umstandslos die Gemeinschaft zahlen lassen kann, wenn man die eigene familiäre Gemeinschaft nicht zu stabilisieren vermag, und dass es mindestens blauäugig ist zu sagen, ein Kind lasse sich auch ohne Partner großziehen. Individuelle Verantwortung – die gerade für Protestanten doch ein hohes Gut ist – verschwindet damit im Ökonomischen hinter sozialstaatlicher Zuständigkeit.

Leitende Prinzipien wären nötig

Indem der Text somit die besondere Kraft und Verantwortung der dauerhaften christlichen Ehe verschwimmen lässt, schwächt er eine an sich wichtige Positionierung, die an anderer Stelle vorgenommen wird: Die Orientierungshilfe bekennt sich recht klar zur Homo-Ehe und auch zur kirchlichen Begleitung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften. „Durch das biblische Zeugnis hindurch“, so heißt es in dem Text, „klingt als ‚Grundton‘ vor allem der Ruf nach einem verlässlichen, liebevollen und verantwortlichen Miteinander, nach einer Treue, die der Treue Gottes entspricht. Liest man die Bibel von dieser Grundüberzeugung her, dann sind gleichgeschlechtliche Partnerschaften, in denen sich Menschen zu einem verbindlichen und verantwortlichen Miteinander verpflichten, auch in theologischer Sicht als gleichwertig anzuerkennen.“

Doch so stark dies klingt – und so überfällig angesichts anhaltender Homo-Ehen-Streitereien in einigen Landeskirchen –, so sehr wird dieses Bekenntnis zu den gleichgeschlechtlichen Partnerschaften wieder relativiert, wenn die dauerhafte Zweisamkeit der Ehe an anderen Stellen nur als ein zwar wünschenswertes, aber nicht leitendes Prinzip beschrieben wird. Dabei wären leitende und fordernde Prinzipien wohl nötig, um dem Eindruck entgegenzuwirken, die EKD nehme den gesellschaftlichen Wandel nicht nur in den Blick, sondern verzichte auch darauf, ihm etwas entgegenzusetzen.

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