Ich trage Schwarz
Ein Kommentar zum Rücktritt von Landesbischof Dr. Carsten Rentzing
von Prof. Johannes Berthold
Seit der Entlassung unseres Landesbischof Dr. Carsten Rentzing aus seinem Amt trage ich Schwarz. Denn ich trauere. Und von Herzen gern schließe ich mich den Worten von Synodalpräsident Guse an: „Ich habe selten einen so wunderbaren Geistlichen kennengelernt. Ich würde mich jederzeit unter die Kanzel setzen, unter der er das Wort auslegt.“
Ja, ich weiß. Dr. Rentzing ist auf eigenen Wunsch hin zurückgetreten. Man habe sich extra noch einmal vergewissert, ob er dabeibleibt. Und man könne ihn ja schließlich nicht zwingen, im Amt zu bleiben. Das ist klar.
Klar ist aber auch, dass er seine Bereitschaft, das Bischofsamt zur Verfügung zu stellen, nicht einfach wieder zurücknehmen konnte. Vor allem, wenn ihm die Gewissheit fehlt, „der Einheit der Landeskirche im Amt des Bischofs weiter dienen“ zu können. In solcher Anfechtung findet ein Mensch neue Gewissheit kaum in sich selbst. Hier bedarf es der Bestätigung und Ermutigung von außen.
Die Kirchenleitung hätte dem Bischof solche Ermutigung neu zusprechen können - trotz allem. Auch dann noch wäre der Bischof in seiner Entscheidung frei geblieben. Doch hätte er darin zumindest eine Würdigung seines Dienstes erfahren, der in den letzten Wochen mehr und mehr angefragt wurde - in Medien und vor allem auch von Amtsbrüdern wie Christian Wolff: „Rentzing hat nicht zusammengeführt. Er hat die Landeskirche weder geführt noch geistlich geleitet. Er blieb gefangen in seiner Vergangenheit. Denn nun kristallisiert sich immer mehr heraus, dass seine Beheimatung in rechten Kreisen keine böswillige Unterstellung ist, sondern offensichtlich mit Tatsachen unterfüttert werden kann.“ Angesichts solcher gnadenlosen Worte verstehe ich König David sehr gut, wenn er einst zu dem Propheten Gad sagte: „Es ist mir sehr angst, aber lass uns in die Hand des HERRN fallen, denn seine Barmherzigkeit ist groß; ich will nicht in der Menschen Hand fallen.“ (2. Sam 27,14) Wer hat eigentlich bisher einem solchen öffentlichen Pauschalurteil öffentlich widersprochen?
Und so trauere ich. Ich trauere, wie aus geringfügigen Anlässen – sei es die Mitgliedschaft in der schlagenden Studentenverbindung „Alte Prager Landsmannschaft Hercynia“ oder ein Referat 2013 in der Berliner „Bibliothek des Konservativismus“ – eine öffentliche Petition wurde, wiederum von Amtsbrüdern im Namen der „Nächstenliebe“ und „Klarheit“ initiiert, doch mit dem heimlich-unheimlichen Ziel „Rentzing muss weg!“ – hier schließe ich mich der Interpretation von Prof. Rochus Leonhardt (Leipzig) gern an; auch wenn er schreibt, die Petition sei nicht mit sachlicher Begründung, sondern mit „jakobinischem Furor“ geschrieben, mit dem „die moralisch total Guten den moralischen Total-Versager zur Buße“ rufen.
Stand aber mit der Auffindung der Jugendschriften Rentzings in der Zeitschrift „Fragmente – das konservative Kulturmagazin“ nicht doch endgültig fest, dass dieser die Kirche über seine Vergangenheit „getäuscht“ hat? So wiederum das harte Urteil eines anderen Amtsbruders in den Medien. Wer diese aus seiner Jugendzeit stammenden Texte jedoch nicht nur nach brisanten Zitaten oder Formulierungen absucht, sondern wirklich gründlich liest, wird sein Urteil zumindest differenzieren müssen. Er wird sich dann vielleicht auch fragen, ob die Prädikate „in Teilen nationalistisch und demokratiefeindlich“ (Erklärung des Landeskirchenamtes vom 13. Okt. 2019) mit all ihren medial erfahrenen Steigerungsformen angemessen waren. Auch was an diesen Texten wirklich zu vertuschen gewesen wäre, oder ob sie nicht selbst nach dreißig Jahren noch geeignet wären, einen notwendigen kritischen Diskurs über die Grundlagen, die Gestaltung und auch die Gefährdungen unserer Demokratie anzuregen.
Natürlich bedaure ich auch, dass Dr. Rentzing selbst nur zögerlich für Klarheit gesorgt hat, noch dazu mit kleinen Schritten. Offenbar unterschätzte er die zerstörerische Energie der ganzen Kampagne. Vielleicht ahnte er aber auch von Anfang an, dass er nicht nur in Details seiner Biografie, sondern in seiner Person und in seinem Amt insgesamt angefragt war. Wer so angegriffen wird, kann sich nicht nur selbst verteidigen. Da braucht es Menschen, die ihn auch in der Öffentlichkeit stützen und schützen. Und deshalb bedaure ich nicht nur das zögerliche Agieren des Bischofs, sondern auch unserer Landeskirche.
Doch konnte sie den Bischof noch öffentlich stützen und schützen, ohne sich selbst öffentlichen Angriffen auszusetzen? Ich stelle diese Frage in großer Sorge. Wenn Prof. Leonhardt im Zusammenhang der Petition gegen den Landesbischof von „einer denunziatorischen Leitkultur“ spricht, „in der sich kleingeistige Blockwartmentalität als vom Glauben getragene demokratische Gesinnung ausgibt“, zeichnet sich in diesen Worten ein geistiger „Klimawandel“ ab, den wir nun nicht mehr nur außerkirchlich, sondern auch innerkirchlich erleben. Hier als Kirche angstfrei zu agieren bedarf großer innerer Kraft. Doch nur so kann sie in der Bindung an das Evangelium „Kirche der Freiheit“ bleiben und ihren Mitarbeitern die Gewissheit geben, von ihr gestützt und geschützt zu werden, sollten sie selbst einmal ähnlichen Angriffen ausgesetzt sein.
Ich höre Rufe, die trösten und mahnen. Da ist vor allem der Ruf zur Einheit, die ein so wichtiges Gut ist. Doch dringt er nur schwer an das Ohr, wenn die Situation zeigt, wie tief unser Unfrieden ist. Der Ruf zur Einheit darf keine Beschwichtigung sein im Sinne von „‘Friede, Friede‘ – und es ist doch kein Friede.“ (Jer 8,11). Er muss verbunden sein mit dem Ruf zur Umkehr – zur Besinnung und Aufarbeitung des Geschehens im Geist der Versöhnung. In dieser Aufarbeitung werden wir uns alle schmerzhaft infrage stellen müssen.
Da ist aber auch – in jeder Krisenzeit wie ein Mantra wiederholt - der Ruf zum Austritt aus der Kirche; als wüsste man nicht, dass auch Freikirchen keine konfliktfreien Zonen sind und wir überall nur dem resistenten Faktor „Mensch“ begegnen.
Wirklich nah an meinem Ohr aber sind Sätze des Genfer Reformator Johannes Calvin über die Auferweckung des Lazarus. „Obwohl die Kirche zur Zeit kaum zu unterscheiden ist von einem toten oder doch kranken Mann, so darf man doch nicht verzweifeln: denn auf einmal richtet der Herr die Seinigen auf, wie wenn er Tote aus dem Grab erweckt. Das ist wohl zu beachten. Denn wenn die Kirche nicht leuchtet, halten wir sie schnell für erloschen und erledigt. Aber so wird die Kirche in der Welt erhalten, das sie auf einmal vom Tode aufsteht; ja, am Ende geschieht diese Erhaltung jeden Tag unter vielen solchen Wundern. Halten wir fest: Das Leben der Kirche ist nicht ohne Auferstehung, noch mehr: nicht ohne viele Auferstehungen.“
Das sind Worte des Trostes und der Hoffnung – auch für Dr. Carsten Rentzing und seine Familie, auch für unsere Landeskirche, die ja nicht nur eine Körperschaft öffentlichen, sondern österlichen Rechts ist. Auch für mich selbst.
Ich respektiere die Entscheidung unserer Kirchenleitung, doch bedauere ich sie sehr. Deshalb trage ich Trauerkleidung, noch auf lange Zeit. Dennoch versuche ich - obgleich nur stammelnd - dieses Credo nachzusprechen: „Das Leben der Kirche ist nicht ohne Auferstehung, noch mehr: nicht ohne viele Auferstehungen.“